Progressive Muskelentspannung und autogenes Training
Wie können Schmerzen behandelt werden? Neben Behandlungen mit Medikamenten (Schmerzmitteln, Psychopharmaka), Spritzentherapien, Akupunktur, Krankengymnastik oder anderen körperlichen Anwendungen, gibt es auch psychologische Verfahren, die als Schmerztherapie eingesetzt werden.
Zum einen können dies bestimmte Verfahren der Schmerzbewältigung sein, zum anderen haben sich auch Entspannungstechniken als sinnvoll erwiesen. Hierbei geht es entweder um die direkte Entspannung der Muskulatur oder um die Herabsetzung der Schmerzaktivität im Gehirn, bei der Schmerzen weniger gravierend erlebt werden. Das bedeutet, dass durch einfaches Entspannen, durch Gedanken oder Gefühle Schmerzen positiv beeinflusst werden können. Der Teufelskreis „Schmerz- Anspannung-Unwohlsein-verstärkter Schmerz“ kann durch bestimmte Entspannungstechniken auf der körperlichen als auch auf der Gefühlsebene unterbrochen werden. Die psychologische Schmerztherapie hat zwischenzeitlich vielerorts Anerkennung erhalten. Es gibt auch verschiedene Techniken, die mit Entspannung und Visualisierungen arbeiten. Diese Techniken wie z.B. die Hypnotherapie, das Katathym-imaginative Bilderleben sind psychotherapeutisch angelegt. Eine weitere Entspannungstechnik sind die „Mentalpsychologischen Interventionen“ von DDDr. Karl Isak, die an anderer Stelle in dieser MeinDoktor-Ausgabe beschrieben werden. Deshalb werden in der Folge zwei bewährte traditonelle Techniken in Erinnerung gerufen, die einfach und leicht von jedermann zu Hause durchzuführen sind.
Die Progressive Muskelentspannung
Die Progressive Muskelentspannung gilt als eine sehr erfolgreiche Methode der Schmerzbewältigung und spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung von chronischen Schmerzen. Entwickelt wurde sie im Jahr 1938 vom amerikanischen Arzt und Psychologen Edmund Jacobson (1885-1976). Er beobachtete, dass innere Unruhe, aber auch der „normale“ Stress, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind, zu Verspannungen der Muskulatur führen kann. Ein Mensch, der innerlich angespannt ist, ist auch muskulär angespannt. Bei Schmerzpatienten kann dies allerdings zu einer Zunahme der Schmerzen führen. Lang anhaltende Verspannungen von Körperpartien führen zu einer Verengung der Blutgefäße in den Muskeln und infolgedessen zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen. Es kommt zu einer Reizung der empfindlichen Schmerzsinneszellen in den Muskeln und damit zu einer Verstärkung der Schmerzen. Umgekehrt gilt aber auch: Sensibilität für Muskelverspannungen und regelmäßige Entspannung der Muskulatur sind ein wirksames Mittel zur Verringerung chronischer Schmerzzustände. Bei der Progressiven Muskelentspannung werden also verschiedene Muskelpartien angespannt und nach einiger Zeit wieder losgelassen. Durch diesen Kontrast der Muskelspannung nimmt man die eintretende Entspannung wesentlich intensiver wahr, als ohne vorheriger Anspannung. Nahezu vollkommen zeit und ortsunabhängig kann diese Entspannungstechnik angewandt werden: Sei es abends vor dem Einschlafen, während einer Besprechung, in Prüfungssituationen, im Büro, während einer Zugfahrt, im Flugzeug, in Angstsituationen usw. Die Muskelentspannung nach Jacobson kann demnach einerseits die Schmerzintensität mildern, andererseits wirkt sie sich auch positiv auf unsere Gesamtverfassung aus – Körper und Psyche werden entspannt.
Übungen zum Kennenlernen:
Das Grundprinzip des Verfahrens besteht darin, Muskeln erst für sieben bis zehn Sekunden anzuspannen und anschließend die selben Muskeln für 20 bis 30 Sekunden bewusst zu entspannen. Während der gesamten Übung ist darauf zu achten, stets ruhig weiterzuatmen. Außerdem sollte man immer seine volle Konzentration auf die Muskeln richten, mit denen gerade gearbeitet wird.
- Ballen Sie die rechte Hand zur Faust und spannen Sie die Muskulatur im gesamten rechten Arm so stark wie möglich an, anschließend konzentrieren Sie sich auf die Entspannung der selben Muskeln.
- Verfahren Sie mit dem linken Arm genauso wie mit dem rechten.
- Runzeln Sie die Stirn so stark wie möglich und ziehen Sie dabei die Augenbrauen möglichst weit hoch – und dann entspannen Sie die Stirnmuskeln wieder.
- Kneifen Sie die Augenlider zusammen und rollen Sie die Augäpfel hin und her – entspannen
- Sie anschließend die Augenmuskeln wieder.
- Schieben Sie ihren Unterkiefer soweit wie möglich nach vorne – und dann entspannen Sie die Unterkiefermuskeln wieder.
- Drücken Sie den Kopf in aufrechter Haltung möglichst weit nach hinten – und anschließend die Nackenmuskulatur wieder entspannen.
- Ziehen Sie die Schultern möglichst weit hoch – und dann entspannen Sie sie wieder.
Autogenes Training
Das Autogene Training ist eine Methode der Selbstbeeinflussung, der Autosuggestion, und wurde vor mehr als 50 Jahren vom deutschen Arzt J.H. Schultz (1884-1970) entwickelt. Schultz ging davon aus, dass jeder Mensch zu autogenen Suggestionen fähig ist und diese mit objektiven Methoden auch nachgewiesen werden können. Sein Buch „Das Autogene Training“ (1932) befasst sich eingehend damit. Das Autogene Training zielt darauf ab, sich auf seinen eigenen Körper zu konzentrieren. Durch Suggestion bestimmter Formeln (z.B. „Meine Beine sind ganz schwer.“) und die Konzentration auf dieses Gefühl, empfindet der Übende es tatsächlich. Der Körper reagiert und gelangt in einen tiefen Entspannungszustand,
der sich unmittelbar durch erniedrigten Pulsschlag, verlangsamten Herzschlag und andere Entspannungszeichen bemerkbar macht. Autogenes Training wird genauso von gesunden Menschen im Sport, im Bereich des Lernens, in der Managerschulung und zur Vorbeugung des Burnout- Syndroms angewandt. Besonders bewährt hat es sich aber auch in der Schmerztherapie. Durch regelmäßiges Training wird die Grundentspannung gesteigert und das körperliche und seelische Wohlbefinden steigen an. Es beseitigt den Schmerz zwar nicht vollständig, doch durch die Muskelentspannung wird der Schmerz anders, nicht mehr so intensiv, wahrgenommen. Eine wichtige Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft zur Mitarbeit. Die Grundübungen: Die Inhalte der ersten Übungen beinhalten meistens die Schwerpunkte „Ruhe-Schwere-Wärme“. Ziel der Ruhe-Übung ist die Einstellung auf einen Zustand der Ruhe und Entspannung. Sie teilen Ihrem Körper mit, dass er nun Ruhe braucht, um sich auf die folgenden Übungen vorzubereiten. (Formel: „Ich bin ganz ruhig.“) Die Schwere-Übung zielt auf eine direkte Entspannung der Muskulatur, Arme und Beine ab, diese haben ein sehr hohes Gewicht, das wir aufgrund der ständig vorhandenen Grundanspannung der Muskulatur in der Regel nicht wahrnehmen. Gelingt es uns aber, diese Anspannung zu verringern, wird uns das Eigengewicht deutlich. Entspannung wird demnach als Gefühl der Schwere erlebt. Ziel der Schwere-Übung ist es demnach, die Muskulatur tiefer als beim üblichen Ausruhen zu entspannen. (Formel: z.B. „Rechter Arm ist schwer.“) Die Wärme-Übung führt zur Entspannung unseres Gefäßsystems und somit zu einer vermehrten Durchblutung bestimmter Körperteile. (Formel: z.B. „Rechter Arm ist warm“.)