Neurostimulation – der Schmerzschrittmacher

Eine innovative nicht-medikamentöse Methode zur Behandlung chronischer Schmerzen

Während der vergangenen Jahre haben sich Rückenschmerzen in den Industrieländern geradezu epidemisch ausgebreitet.Untersuchungen zeigen, dass 60 bis 90 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal im Leben an einer der Spielarten von Rückenschmerz leiden: 30 bis 50 Prozent davon an Nackenschmerzen, 16 bis 20 Prozent an Schmerzen der Brustwirbelsäule.

Und mehr als 70 Prozent an Schmerzen der Lendenwirbelsäule.In sehr vielen Fällen werden diese Schmerzen chronisch, vergehen also nicht nach ein paar Tagen oder Wochen. Die Erforschung, Entwicklung und Anwendung bestmöglicher Behandlungsmethoden von Rückenschmerzen spielen deshalb in der modernen Schmerzmedizin eine zentrale Rolle, und die Palette der therapeutischen Möglichkeiten ist heute entsprechend breit: Sie reicht von Physikalischer Medizin, konsequentem Training, Massagen, Akupunktur, über Psychotherapie und Entspannungstechniken bis hin zu einer Vielzahl von Medikamenten. In manchen Fällen kann auch eine Operation sinnvoll sein.

Beeindruckende Fortschritte bei den Schmerz-Schrittmachern

Wichtige und innovative Beiträge zur Therapie chronischer Rückenschmerzen liefert auch die moderne Medizintechnik mit der sogenannten Neurostimulation. Ihr Ziel: Schmerzen lindern, Lebensqualität verbessern, Medikamentenverbrauch und damit verbundene Nebenwirkungen reduzieren. „Die Fortschritte bei Neurostimulatoren, die auch als Schmerz-Schrittmacher bezeichnet werden, sind beeindruckend“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Burkhard Gustorff (Wilhelminenspital, Wien), Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG). „Diese sind etwa so groß wie eine Stoppuhr und werden mittels einer minimal invasiven, also wenig eingreifenden Operation unter lokaler Betäubung eingesetzt. Sie senden über Elektroden schwache elektrische Impulse. Diese sorgen für Schmerzlinderung, indem sie die Schmerzsignale verändern („modulieren“), bevor sie das Gehirn erreichen. Dadurch entsteht ein leichtes, nicht unangenehmes Kribbel-Gefühl in den sonst schmerzhaften Körperregionen. Mit einem Hand-Programmiergerät können Intensität und Ort der Stimulation individuell an den Patienten angepasst werden.“

Wem die Neurostimulation helfen kann

Typische Einsatzgebiete für Schmerz-Schrittmacher sind zum Beipiel: – chronische Rückenschmerzen, die in der Lendenwirbelsäule auftreten oder in die Beine oder Füße ausstrahlen; – schmerzhafte Neuropathien (Nervenschmerzen) infolge einer Nervenschädigung; – das komplexe regionale Schmerzsyndrom: ein chronischer Schmerzzustand, der meistens an Händen oder Füßen auftritt. „Natürlich sind Neurostimulatoren nicht ,das Wundermittel schlechthin’ für jede Art von chronischem Schmerz“, so Prof. Gustorff. „Sie sind eine wichtige, nicht medikamentöse Behandlungsoption für bestimmte chronische Schmerzen, die vielen Patientinnen und Patienten helfen kann. Patienten, die von Schmerz-Schrittmachern profitieren können, haben generell chronische neuropathische Schmerzen, die mit Medikamenten und anderen schmerztherapeutischen Verfahren nicht ausreichend behandelt werden können. Oder sie leiden unter Nebenwirkungen von Medikamenten, die nicht mehr erträglich sind. Ein multidisziplinäres Team aus Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen sollte im Einzelfall beurteilen, ob jemand für die Neurostimulations-Therapie geeignet sein könnte.“ Die moderne Schmerzmedizin unterscheidet zwischen zwei Unterformen der Neurostimulation: Bei der „Rückenmarksnahen“ Neurostimulation („Spinal Cord Stimulation“, SCS) wird ein Stimulationsgerät unter die Haut platziert und sendet über eine dünne Elektrode, die in der Nähe des Rückenmarks implantiert wird, schwache Impulse an die Rückenmarksnerven. Bei der subkutanen „peripheren Nervenstimulation“ (PNS) werden eine oder mehrere dünne Elektrode/n in das Unterhautfettgewebe („subkutan“) eingeführt und stimulieren über das implantierte Gerät die Nervenfasern im schmerzhaften Gebiet. Periphere Nerven sind alle Nervenstränge im Körper, die nicht im Rükkenmark oder Gehirn verlaufen. Wann welche Methode die geeignete ist, muss individuell abgeklärt werden. „Die SCS und die PNS sind sichere und wirksame Therapien, sowohl als alleinige Behandlung als auch in Kombination“, so Prof. Gustorff. „Die Ergebnisse bezüglich Schmerzlinderung, Verbesserung der Lebensqualität und Verringerung von Schmerzmedikamenten sind sehr überzeugend.“

Neue Technologie erleichtert Anwendung und optimiert Wirkung

Neurostimulations-Produkte früherer Generationen haben einfach voreingestellte Stimulationsstärken abgegeben, wodurch Patientinnen und Patienten bei veränderter Körperposition oder Aktivität häufig die Einstellungen für die Schmerzlinderung manuell ändern mussten. Die Adaptive- Stim-Technologie des Medizintechnik-Unternehmens- Medtronic hingegen setzt eine spezielle Methode ein, wie sie auch bei Mobiltelefonen verwendet wird: Stärke und Richtung der Erdanziehungskraft werden verwendet, um die Position des Patienten – zum Beispiel Sitzen, Liegen, Stehen, Rücken- oder Bauchlage, etc. – zu erkennen und automatisch die optimale Stufe der schmerzlindernden Stimulation einzustellen.

Österreich bei der Neurostimulation internationale Spitze

Auf dem Gebiet der Neurostimulation ist Österreich im Übrigen international führend. So befindet sich im Krankenhaus der Elisabethinen in Graz das erste deutschsprachige Ausbildungszentrum für die Anwendung der SCS in Europa. Die PNS wurde weitgehend in Österreich entwickelt, hier erfolgten auch die Erstimplantationen (LKH Innsbruck). Bei den Elisabethinen in Graz fand das weltweit erste internationale PNS-Training für Ärzte aus ganz Europa statt. Und unter der Leitung des Klinikums Klagenfurt am Wörthersee hat sich eine Reihe von Schmerzzentren zusammengeschlossen und eine Register- Datenbank angelegt, um ihre PNS-Implantationen zu dokumentieren und wissenschaftlich auszuwerten.

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