Wenn das Leben weh tut

Schmerz – ein Phänomen in Gesellschaft, Religion und Medizin

Jeder Mensch kennt sie – Schmerzen. Sie sind Leiden und Qual für den Körper, können aber auch Lust vermitteln, Macht begründen, die Seele läutern und Kräfte entfesseln. Das, was sich hinter dem Wort Schmerz verbirgt, hat viele Gesichter mit zutiefst unterschiedlichen Zügen. Jeder Einzelne verbindet individuelle Empfindungen mit dem Schmerz.

Jedes Volk hat dem Schmerz eine Rolle in seiner Gesellschaft eingeräumt. Bei uns üblich ist die Annahme, dass Schmerz die Lebensqualität erheblich einschränkt, den Schmerzpatienten auf einen unfairen, langen Leidensweg schickt, durch einen Sturm der Verzweiflung peitscht und nebenbei der Volkswirtschaft enormen wirtschaftlichen und finanziellen Schaden zufügt. Schmerzen sind zu einer ernst zu nehmenden Erkrankung geworden. Die Tour der Leiden. So wird die Tour de France bezeichnet, die jedes Jahr aufs neue Radprofis aus aller Welt mehrere Wochen lang durch Frankreich schickt. Ohne Doping ist die Strapaze kaum noch zu ertragen. Der Preis für jeden, der ins Rennen geht, ist hoch und mit vielen Schmerzen verbunden. Im Sport leistungsbereit zu sein heisst, bereit dafür zu sein, Schmerz zu ertragen, Verletzungen in Kauf zu nehmen. Einer anderen Form des Schmerzes setzen sich all jene aus, die schön sein wollen. Schmerz ist mit dem Schönheitsideal verbunden, denn wer schön sein will, muss leiden, so ein Sprichwort, das seine Wurzeln in Frankreich hat. Schmerzen, die bei der Befriedigung von sexuellen Wünschen empfunden werden können, sind für viele Menschen heute kein Tabu mehr. Wer Lust will, der akzeptiert oft auch – oder wünscht es sich sogar – dass diese Lust mit Schmerzen verbunden ist. Cicero bezeichnet den Schmerz als eine „rauhe Bewegung im Körper, die von den Sinnen abgelehnt wird“. Für ihn ist Schmerz kein seelischer Zustand, sondern er differenziert in körperliche Schmerzen und in die Emotion des Kummers, der Lust- und Schmerzlehre sowie der Schmerztheorie. Je nachdem welches gesellschaftliche Rollenverständnis gerade dominiert, ändert sich auch das Verhältnis der Gesellschaft zum Schmerz. Schmerz wird in verschiedenen Situationen – und je nach Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen – unterschiedlich erduldet. Über den Schmerz erwerben viele Menschen beispielsweise ihre gesellschaftliche Position. Speziell das Erwachsenwerden und Erwachsensein ist mitunter gekoppelt an Riten, die Leid in sich bergen. Bei der Initiation, einem Aufnahmeritual traditioneller Gesellschaften, ist das Ertragen von Schmerz unverzichtbar und hat gar etwas Befreiendes. Die Hamar, ein Volk in Südäthiopien wiederum, gibt sich durch das kollektive Zufügen von Schmerz seine Identität. Schmerz ist abwechslungsreich und vielseitig und so liegt es nahe, dass er seit jeher eine übergeordnete Rolle in der Religion spielt, insbesondere in der jüdisch-christlichen Tradition, die den Schmerz in Zusammenhang mit Schuld und Sühne stellt, da der ursprüngliche Schöpfungsplan Gottes keinen Ort für Schmerz vorsah. Erst durch den Sündenfall treten der Schmerz und die Schmerzempfindung in die Welt des Menschen ein.

Der Schmerz – eine Gabe Gottes an den sündigen Menschen?

Leiden und Religion bilden eine ganz besondere Einheit, die auch heute noch sowohl das Schmerzempfinden, die Einstellung zum Schmerz als auch das Ertragen von Schmerzen prägt. Religionen nutzen den Schmerz zum Eigenzweck. So bilden der Leidensweg Christi und die Qualen, die Jesus am Kreuz ertragen musste, die Basis der christlichen Religion. Das Leid geht für viele auch nach dem Tod weiter, denn wer sich auf Erden als schlechter Christ erwies, der schmort für ewig im Fegefeuer, das nicht nur ungemütlich, sondern äußerst schmerzvoll ist. Die Kirche erhob Männer und Frauen zu Märthyrern, wenn sie Schmerzen und Qualen herbei sehnten und verherrlichten. Wer im Mittelalter ein Mittel gegen Schmerzen anbot, schloss einen Pakt mit dem Teufel – der Scheiterhaufen war dem Kätzer gewiss. Schmerzen galten als Parallele zum Leidensweg Christi und als solche waren sie nicht nur zu akzeptieren, sondern mussten als Strafe Gottes und zur Erlösung der Seele ertragen werden. Die Erlösung vom Schmerz galt als Gnade Gottes. Nicht jeder Schmerz dient dem Menschen, auch wenn religiöse Vertreter und Philsophen der Ansicht sind, dass sich Gott durch den Schmerz mit unserem Gewissen in Verbindung setzt. Der Schmerz, so hören es Schmerzpatienten oft, wird seinen Sinn haben. Ein Betroffener kann solche Aussagen nur als zynisch empfinden. Ob Schmerzen Sinn haben oder nicht, darf eine philosophische Frage sein und bleiben. Für den Betroffenen wird die Antwort darauf vermutlich keine wesentliche Erleichterung bringen. Wohl Erleichterung bringt dem Schmerzpatienten der Glaube. Forscher der Universität Oxford haben herausgefunden, dass starke religiöse Gefühle Schmerzen lindern können. Die Schmerzlinderung wird von speziellen Gehirnregionen gesteuert, die sich im Frontallappen der Großhirnrinde befinden. Dieser Gehirnbereich ist unter anderem dafür verantwortlich, einer schlechten Erfahrung positive Bedeutung zu geben, um besser damit umgehen zu können. Bei gläubigen Patienten aktiviert sich die Gehirnregion, wenn sie zum Beispiel Bilder mit religiösen Motiven betrachten. Von diesen Erkenntnissen erhofft sich die Wissenschaft neue Ansätze bei der Entwicklung wirkungsvoller Schmerztherapien. In der Religion ist der Schmerz demnach Werkzeug. In der religiösen Systematik erkennt der Mensch durch den Schmerz seine Grenzen und es bietet sich ihm die Möglichkeit zur Umkehr. Doch der Schmerz hat durchaus auch die Kraft, die Religion in Bedrängnis zu bringen. Durch Schmerz, Leid und die Ungerechtigkeit auf Erden stellt der Mensch zusehends die religiöse Wahrheit und damit die göttliche Lenkung in Frage.

Der medizinische Umgang mit Schmerz

Die medizinische Geschichte des Schmerzes ist geprägt von unterschiedlichen Strömungen, die einem Pendel gleichzusetzen sind, wobei ein Pendelausschlag einer Hauptdenkrichtung entspricht und rund 50 Jahre dauert. Vor rund 50 Jahren stand der schmerzgeplagte Patient im Mittelpunkt des Interesses der Chirurgen. Als Schmerzmittel wurden Opium, Morphin und Kokain eingesetzt. Die Pharmaindustrie erlebte ihren Durchbruch mit Entdeckungen wie Insulin oder Sulfonamiden. Anästhestika, zentralwirksame Mittel aber auch neue Betäubungsverfahren konnten durchaus als Erfolge gewertet werden. Das Pendel schlug in Richtung der medikamentösen Terapie aus; die Schmerztherapie war erfunden. Doch im Laufe der Jahrzehnte mussten Patienten und Ärzte erkennen, dass die alleinige medikamentöse Form der Schmerztherapie Grenzen hat. Auch was den geeigneten „Arzt für Schmerzen“ betrifft, gab es unterschiedliche Entwicklungen. Zu Beginn suchten Schmerzpatienten häufig den Hausarzt und auf dessen Anraten den Orthopäden auf. Dieser konnte bei der Therapie von Schmerzen durchaus behilflich sein, doch nicht in allen Fällen. Des Orthopäden Bemühen war nicht immer von Erfolg gekrönt – konnte es auch nicht sein. Was blieb waren ein weiterhin leidgeplagter Patient und ein frustrierter Arzt – der seine nicht heilen wollenden Patienten gerne zum Psychiater schickte. Ganz nach dem Motto: Schmerzen? Alles nur eine Einbildung! Viele Orthopäden traten nach ihren Misserfolgen den Rückzug als Schmerztherapeuten an. Ihren Platz nahmen sukzessive die Rheumatologen und die Neurologen ein. Ein Großteil der Rheumatologen dachte bei ihren Schmerztherapien in Richtung Weichteilrheumatismus. Für diesen suchten sie den Stein der Weisen, die einzige Pille, die gegen Schmerzen und Schmerzsyndrome half. Der Zugang dazu erfolgte mitunter auf sehr unwissenschaftliche Weise. Etwas anders gepolt waren die Neurologen. Sie gingen davon aus, dass den Schmerzen neurologische Muskelerkrankungen zu Grunde liegen und dass die Schmerzen ihren Anfang vom Muskelapparat nehmen. Die Bezeichnung dafür lautete Myopain. Von einem neuromuskulären Krankheitsbild schlossen sie auf das Unbekannte, doch auch dies entpuppte sich als ein wissenschaftlich nicht zu untermauernder
Trugschluss, den vor allem eine Branche besonders freute – die Pharmaindustrie. Alle waren auf der Suche nach der seligmachenden Pille, die in der Lage ist, den Schmerz zu lindern oder gar für immer zu beseitigen. Als die Wunderwaffen schlechthin galten das Pregabalin und das Doluxetin. Dem leidenden Patienten wurde mitgeteilt, dass er seine Schmerzen bis zur Marktreife der Wunderwaffen entweder in den Griff zu bekommen hätte oder durchhalten müsse. Anfang 2000 war es dann so weit. Die Präparate kamen auf den Markt, ihr Erfolg lag weit unter dem Durchschnitt und der Patient litt weiter.

Wettbewerb um den Schmerz

Auch heute noch sind es vor allem die Orthopäden, Rheumatologen und Neurologen, welche Schmerzpatienten behandeln. Die Psychologen treten auf die Bühne, wenn Spritzen, Nadeln, Gipse oder Operationen nichts mehr nützen. Die Tendenz in der Kompetenz von Schmerzbehandlungen geht zu letzteren – den Psychologen. Bei diesem Wettkampf um die Nummer eins Position bei der Behandlung von Schmerzen spielen immer auch Machtstrukturen und die Brüskierung von Fachgruppen eine Rolle. Der Chirurg will seinen Teil am Schmerzpatienten haben, der Rheumatologe und der Psychologe ebenso. Die Honorare, die sich mit Schmerzpatienten erwirtschaften lassen, sind beachtlich, denn der Schmerzpatient ist bereit, viel Geld dafür zu zahlen, um wieder schmerzfrei zu sein. Die Pharmaindustrie will ihr Geschäft machen. Jeder gesundete Schmerzpatient beraubt die Pharmaindustrie um Geld, Macht und Prestige. Im Mittelpunkt der Kämpfe steht der Patient.
Er sieht sich mit einem Überangebot von Therapien konfrontiert, ist kaum in der Lage, in diesem Dschungel die für ihn passende Therapie zu finden. Er probiert auf Anraten seiner Ärzte ein Angebot nach dem anderen aus und wird, im Grunde genommen, alleine gelassen mit seinem Problem – den Schmerzen.

Zusammenarbeit gegen die Schmerzspirale

Um die Patienten künftig besser betreuen zu können, wollen Österreichs Schmerzspezialisten,
Neurologen und Rheumatologen künftig verstärkt zusammenarbeiten. Es bedarf der Koalition verschiedener Spezialisten, um den Schmerz maßgeblich bekämpfen zu können. Als wirkungsvolle Unterstützung für die Schmerzbekämpfung dienen Opiate, die noch immer mit großen Vorurteilen behaftet sind. Ein Großteil der Mediziner ist jedoch der Auffassung, dass Opiate – adäquat eingesetzt – zu keinerlei Abhängigkeit führen. Das Opiat alleine wird jedoch kein Allheilmittel und alleinigen Schlüssel hin zum schmerzfreien Leben darstellen. Es bleibt eine wesentliche Aufgabe der Mediziner, dem Patienten zuzuhören, denn auch seelische und geistige Prozesse sind bei einer Schmerztherapie zu berücksichtigen. Da Schmerzen die gesamte Konstitution des Menschen betreffen, gehören zur Diagnose und zur Therapie auch die Anamnese, also das umfassende Gespräch mit dem Patienten. Die gesamte Patientengeschichte ist in die Therapie miteinzubeziehen.

Drei Arten von Schmerz

Heute werden Schmerzen hauptsächlich in drei Gruppen eingeteilt: akute Schmerzen, chronische Schmerzen und neurophathische Schmerzen. Ein akuter Schmerz signalisiert dem Körper, dass eine akute Gefahr besteht. Ein Beispiel dafür ist die Verletzung. Sie tritt auf, tut weh und könnte unbehandelt zu Folge- oder Langzeitschäden führen. Aktue Schmerzen sind daher in ihrer Ursache oft eindeutig erkennbar und lassen sich gezielt behandeln. Der chronische Schmerz stellt im Unterschied zum Akutschmerz ein eigenes Krankheitsbild dar. Die Ursachen für chronische Schmerzen lassen sich oft schwer feststellen oder sind nicht mehr vorhanden. Das macht die Behandlung von chronischen Schmerzen deutlich schwieriger. Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn die schmerzhafte Empfindung länger als sechs Monate dauert. Neuropathische oder Nervenschmerzen entstehen dann, wenn Nervengewebe zum Beispiel durch Erkrankungen wie Diabetes mellitus Schaden nimmt. Die Schädigung kann sowohl das periphere oder entfernt liegende sowie das zentrale Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) betreffen. Ein typischer Vertreter für einen neuropathischen Schmerz ist der Phantomschmerz. Bei einer Amputation werden die peripheren Nerven durchtrennt, der Nervenschmerz, dessen Ursache im zentralen Nervensystem beheimatet ist, tritt dennoch auf. Doch auch im Verlauf von psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel bei Depression oder Burnout kommt es bei etlichen Patienten zu teils massiven Schmerzempfindungen. Die Ursachen hierfür sind jedoch nicht auf eine Schädigung von Organen oder Gliedmaßen zurück zu führen, sondern wurzeln in der Psyche.

Schmerzformen

Zu den häufigsten Schmerzen, unter denen Menschen zu leiden haben, gehören Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen. Oft treten auch Gelenks-, Gesichts- und Fußschmerzen auf, alle Formen von Entzündungsschmerzen zum Beispiel in Ellebogen oder Knie, Bauch-, Blasen-, Brust-, Unterleibsschmerzen, Ohren-, Augen- und Zahnschmerzen, Schmerzen können auch den Stuhlgang und das Wasserlassen begleiten, ebenso als Regelschmerzen oder Schmerzen, die beim Geschlechtsverkehr in Erscheinung treten. Tumorschmerzen und Phantomschmerzen zählen zu den überaus unangenehmen Schmerzen, welche beachtliches Potenzial zur massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten in sich bergen. In Österreich ist weit mehr als eine Million Menschen von Schmerzen betroffen – Tendenz steigend, insbesondere deshalb, weil die Menschen immer älter werden. Rund 200.000 dieser Patienten gelten als unterversorgt, wiewohl bei 90 Prozent aller Schmerzpatienten eine Linderung der Leiden möglich wäre. Mit diesen Zahlen liegt Österreich in Europa nahezu an der Spitze. Noch mehr Schmerzpatienten pro 100 Einwohner weisen Finnland und Italien auf, deutlich weniger haben Spanien, Großbritannien oder auch Frankreich. Als häufigster Ausgangspunkt für Schmerzen werden die Bandscheiben genannt, gefolgt von Arthritis und Schmerzen nach Unfällen. Migräne- und Rheumaschmerzen folgen auf den Plätzen. Mehr als 80 Prozent der Menschen hatten in ihrem Leben schon unter schweren Rückenschmerzen zu leiden, rund 40 Prozent der über 70-Jährigen klagen über eine schmerzhafte Arthrose.

Die Suche nach dem Weg

In vielen Fällen gilt der Schmerz als Hauptsymptom für verschiedene Erkrankungen und führt demnach erst zu einem späteren Stadium zur Behandlung. Ziel ist es jedoch, dass die Betroffenen dazu gebracht werden, mit ihren Beschwerden früher zum Arzt zu gehen in der Hoffnung, einen Arzt zu konsultieren, der die Schmerzen ernstnimmt und individuell abgestimmte Therapieansätze anbietet. Noch sieht die Realität in Österreich für Schmerzpatienten frustrierend aus. Bis zu neun Mediziner sucht ein Schmerzpatient auf, bevor er eine adäquate Behandlung erfährt. Andere Erkenntnisse fallen noch trister aus und sprechen davon, dass ein Schmerzpatient statistisch gesehen zehn Jahre benötigt und drei Operationen hinter sich bringen muss, bevor er bei einem Mediziner landet, der seinen Schmerz nicht als Neben- sondern als Hauptsache erkennt. Kein Wunder, dass viele Betroffene nach wie vor dazu neigen, die Schmerzen selbst zu behandeln, sich damit jedoch auch die Chance auf Heilung der Grunderkrankung nehmen.

Warum Menschen Schmerzen haben

Es gibt eine Fülle an Ursachen, warum Menschen Schmerzen erleiden müssen. Etliche Mechanismen können das Körpergewebe schädigen und so die Schmerzempfindung auslösen. Temperaturen (z. B. Verbrennungen oder Erfrierungen), Gewalteinwirkungen wie Schnittverletzungen, Stürze etc. oder giftige Substanzen wie Säuren oder Basen sind nur ein paar wenige Beispiele hierfür. Die Schädigung des Gewebes alleine verursacht den Schmerz noch nicht. Schmerz entsteht, weil er an eine komplexe Verarbeitung durch das Nervensystem geknüpft ist. Der Schmerz entsteht auf vier unterschiedliche Arten. Egal welche Ursache der Schmerz hat, die Folge ist eine Spannung in der jeweiligen Muskelpartie. Ist der Schmerz physiologisch nozizeptiven Ursprungs wird er über die Schmerzrezeptoren oder Nozizeptoren wahrgenommen. Die Ursache hierfür liegt in thermischen, chemischen und mechanischen Reizen. Ist der Schmerz neuropathisch, so wird er als Nervenschmerz bezeichnet. Es entstehen Nervenschädigungen ausserhalb des zentralen Nervensystems (ZNS). Amputationen, Viren oder Diabetes mellitus können solche Schmerzen verursachen. Der Schmerz kann auch zentral begründet sein. In diesem Fall liegen die Nervenschädigungen innerhalb des ZNS, also im Gehirn oder im Rückenmark. Ursachen hierfür sind beispielsweise Querschnittlähmungen, Hirnschlag, Viren oder multiple Sklerose. Ist der Schmerz schließlich psychosomatischer Natur, so ist er Ausdruck einer seelischen Belastung. Es liegt keine Schädigung der Organe vor. Dauert die seelische Belastung zu lange an und manifestiert sich die psychosomatische oder somatoforme Störung, äußert sich dies in dauerhaften Schmerzen. Es wird eine neuerliche Stresssituation geschaffen und der Teufelskreis schließt sich. Unabhängig davon, welche Ursache der Schmerz hat: die Folge ist eine reflexartige Verspannung der jeweiligen Muskelpartie. Das verursacht wieder Schmerzen, die weitere Muskelverspannungen nach sich ziehen. Auch Stress führt nachweislich zu einer erhöhten Muskelspannung. Schmerzpatienten reagieren auf Stress besonders intensiv und benötigen längere Zeit, um die stressbedingte Anspannung wieder abzubauen. Sie zeigen demnach eine besondere Anfälligkeit für den fatalen Kreis aus Muskelspannung und Schmerz.

Wer krank ist, ist als ganzer Mensch krank

Hippokrates sah den Menschen in seiner Gesamtheit an. Auch für ihn stellte der Schmerz eine wichtige Warnbotschaft für Körper und Seele dar. Homer und Demokrit gingen auf den Schmerz in der menschlichen Gesundheit ebenso ein, wie Platon und Aristoteles. Für sie waren der Schmerz wie auch andere Empfindungen Eigenschaften der Seele, die ihren Platz im Herzen hat. Schmerz ist einerseits ein Warnsignal des Körpers, andererseits birgt der Schmerz unendlich zerstörerische Kraft. Die Lebensqualität eines Schmerzpatienten ist empfindlich reduziert und verschlechtert sich mitunter zusehends. Mit seinem Schmerz macht der Patient eine existenzielle Erfahrung und unterzieht sein Bewusstsein einer beachtlichen Schärfung. Denn der Schmerz ist nicht nur eine Reaktion auf Reize, sondern eine wichtige und ganz besondere Form der Kommunikation. Schmerz kommuniziert nach innen zum eigenen Körper hin, aber auch nach außen, hin zum sozialen Umfeld. Schon sehr früh ist der Mensch in der Lage, Schmerz zu empfinden. Heute weiß man, dass ein etwa 26 Wochen alter Embryo ein voll entwickeltes Schmerzsystem vorzuweisen hat, das jedoch zum Zeitpunkt der Geburt noch nicht mit dem wesentlichen, körpereigenen Schmerzhemmsystem ausgestattet ist. Unter Zuhilfenahme eines bildgebenden Verfahrens wird deutlich, dass der rein psychische Schmerz wie z. B. Trauerschmerz oder Zurückweisung
teilweise in den gleichen Hirnregionen verarbeitet wird, wie rein körperliche Schmerzen, beispielsweise Traumaschmerzen. Die Entstehung von Schmerz ist vielschichtig Schmerz ist eine bio-psychosoziale Einheit, zu der auch nicht medizinische Einflüsse, wie religiöse oder philosophische Sichtweisen, gehören. Die Multidimensionalität und die Deutungsvielfalt von Schmerz ist nicht nur ein Produkt unserer Zeit, sondern geht auf antike Quellen zurück. Umso erstaunlicher stimmt es, dass moderne Schmerztherapien heute zu einem Schmerzverständnis geführt haben, in dem die soziokulturellen Dimensionen häufig ausser Acht gelassen werden. Dabei sind es gerade auch diese, welche die Schmerzwahrnehmung, das Schmerzverhalten und die Schmerzerfahrung wesentlich prägen.

Thesen zum Schmerz

Aus dem Schmerz, einem individuell zu wertenden Phänomen, lassen sich dennoch einige Thesen ableiten, die außer Frage stehen. So ist Schmerz unproduktiv und destruktiv, chronischer Schmerz ist sinnlos und Schmerz per se kann nicht akzeptiert werden. Chronische Schmerzen haben zerstörerisches Potenzial, das sich auf die Einheit Mensch auswirkt. Angegriffen werden sowohl der Körper als auch die Psyche. Weil Schmerz subjektiv empfunden wird, ist er immer als echte Wahrnehmung und Wahrheit des Betroffenen anzuerkennen, also ernst zu nehmen. Schmerz darf niemals als bloße Einbildung oder als psychisch bedingt abgetan werden, nur weil er medizinisch nicht zu erklären ist. Chronischer Schmerz ist auch niemals allein psychisch, psychosomatisch oder rein körperlich bedingt zu sehen. Es gibt keine Schmerzpersönlichkeiten. Das was es gibt, sind Menschen, die Schmerzen empfinden. Die Stigmatisierung von Menschen mit Schmerzen ist ernsthaft zu bekämpfen. Nur weil sich Schmerzen medizinisch nicht erklären lassen, heisst das noch lange nicht, dass der Mensch keine Schmerzen hat oder sich diese nur einbildet. Jeder Mensch, der Schmerzen empfindet, hat sich das Mitgefühl der anderen verdient, auch jenes der Ärzte und Therapeuten. Ein schmerzfreier Mensch soll sich dessen immer bewusst sein, dass auch er schon der nächste sein kann, der akute oder chronische Schmerzen verspürt. Tritt der Schmerzfall ein, so hat jeder Anspruch auf rasche medizinische Hilfe. Schmerz, insbesondere der chronische Schmerz, ist mit allen zur Verfügung stehenden medizinischen Mitteln und so früh wie möglich zu beseitigen oder zu lindern. Dabei kann jede Methode zum Einsatz kommen, welche zur Linderung des Schmerzes beiträgt. Es gibt mittlerweile viele Mittel und Therapien am Markt, mit denen sich das Leiden schmerzerkrankter Menschen abschwächen oder vielleicht sogar heilen lässt. Findet eine Linderung statt, so darf dies die Suche nach einer noch besseren Lösung niemals behindern. Chronische Schmerzen lassen sich nur dann endgültig besiegen, wenn die Ursache desSchmerzes ermittelt ist und sich diese ausschalten lässt – ganz nach dem Prinzip des elektrischen Lichtschalters; ein/ aus. Die Zeiten sind endgültig vorbei, in denen ein Mensch als Held galt, wenn er seine Schmerzen erduldete und mit Würde ertrug. Was im Mittelalter im Trend lag, ist heute ein Tabu. Es soll und darf in der Jetztzeit niemanden mehr geben, der Schmerzen stillschweigend durchleiden muss. Heute klärt der mündige, selbstbewusste und eigenbestimmte Patient seinen Arzt und Therapeuten darüber auf, wann, wo und auf welche Art es ihn schmerzt. Und die konsultierte Fachkraft wird gemeinsam mit dem Patienten eine entsprechende, möglichst wirkungsvolle Therapie erarbeiten.

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